Bamlach, St. Peter & Paul (Formklang)

Die Orgel St. Peter und Paul Bamlach

01.01.2012

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Weit reicht der Blick ins Elsass von der Kirche St. Peter und Paul oberhalb des Winzerdorfs Bamlach im südlichen Markgräflerland nahe der Schweizer Grenze. Heute gehört der beschauliche Ort zu Bad Bellingen; die kleine, überaus aktive Pfarrgemeinde ist Teil der Seelsorgeeinheit Schliengen. Vor dem massigen mittelalterlichen Kirchturm, von wo aus man heute durch den Haupteingang die Kirche betritt, befand sich das ursprüngliche Kirchenschiff. 1716 wurde stattdessen östlich an den ehemaligen Chorturm angebaut. 1885 wurde als Bestandserweiterung der Grundstein zur jetzigen neugotischen Kirche gelegt.

1887 konnte die Gemeinde eine gebrauchte Orgel aus Sulzfeld (Nordbaden) erwerben. Es handelte sich um ein Werk des herzoglich privilegierten baden-durlachischen Land-Orgelbauers Georg Marcus Stein, dessen Name mit Kontakten zum Umfeld des Hauses Mozart in Verbindung gebracht wird. Steins Werkstatt-Nachfolger Voit stellte die elfregistrige Orgel in Bamlach auf und passte sie optisch wie klanglich der neuen Örtlichkeit an. In den 1960er-Jahren erschien dieses kleine Werk im neugotischen Gewand nicht mehr erhaltenswert.

Bei der damaligen Kirchenrenovation wurde der Innenraum in zeittypischer Weise umgestaltet: Das neugotische Inventar wurde durch sakrale Zweckmöbel im Stil der neuen Sachlichkeit ersetzt. Das mit Ornamenten bemalte Gewölbe verschwand hinter einer abgehängten Holzdecke, und die Raumschale wurde weiß getüncht. Wieder reichte es nur für eine Orgel aus zweiter Hand: Orgelbau Späth stellte die pneumatisch gesteuerte Schwarz-Orgel (1905) aus Kenzingen in einem einfachen Spanplattengehäuse auf; über der Empore musste eigens dazu die Holzdecke „ausgekulpt“ werden.
Doch auch diese Lösung wurde schon bald durch die häufigen Besuche des Orgelbauers zu einem teuren Vergnügen.

Seit den 1990er-Jahren erwachte in Bamlach der Wunsch nach einem eigens für ihr Gotteshaus konzipierten Orgel-Instrument. Parallel zu den vielfältigen anderweitigen Aktivitäten der Pfarrgemeinde, wurden seit 1997 durch den Orgelbauverein finanzielle Mittel generiert. Wer sich so lange mit „secondhand“ zufrieden geben musste, wollte nun endlich etwas Neues, Entgültiges: Eine optisch wie musikalisch einmalige Orgel in bester Qualität. Nun wird am 23. September 2012 die neue FORMKLANG-Orgel eingeweiht.

Eigentlich feiert man in Bamlach an diesem Tag gleich zwei Premieren. Zum einen erhält die Pfarrgemeinde erstmals in ihrer langen Geschichte eine neue Orgel, zum anderen ist es das erste Werk von FORMKLANG, einer Partnerschaft des renommierten Orgelbaumeisters Claudius Winterhalter (Oberharmersbach im Schwarzwald) und Orgelbau Thomas Jann (Laberweinting bei Regensburg). Es handelt sich dabei weder um eine bloße Bieter- noch um eine Subunternehmer-Konstruktion. Vielmehr bildeten die beiden Partner eine projektbezogene Arbeitsgemeinschaft aus folgender Überlegung heraus: Lange Wartezeiten sind einer Kirchengemeinde, die bereits über ein Jahrzehnt auf ihre neue Orgel hinarbeitete und sparte, kaum zu vermitteln. Andererseits besteht durch kurzfristige Kapazitätssteigerung das Risiko minderer Qualität bei erhöhtem Betriebsrisiko.

Bei FORMKLANG profitiert der Auftraggeber nun von der weltweit geschätzten handwerklichen und technischen Erfahrung im Hause Jann ebenso, wie von den klanglichen und gestalterischen Intentionen von Claudius Winterhalter. So erhält Bamlach eine neue Orgel, die in ihrer Form – äußeres Erscheinungsbild und technische Anlage – wie in ihrem Klang das Wissen gleich zweier Spezialisten nutzen kann.

Stets sind die Wünsche an eine neue Orgel groß, Mittel und Platz dagegen immer begrenzt. Deshalb gilt es, deutliche Akzente zu setzen. Eine gut durchdachte Disposition der Register ist die eine Voraussetzung dafür, dass selbst auf einer Orgel überschaubarer Größe sehr viele musikalische Facetten und Stile überzeugend wiedergegeben werden können. Eine weitere ist die überaus sorgfältige Intonation aller rund 1500 Pfeifen. Diese immer anspruchsvolle Aufgabe hat in Bamlach Frank Schüngel übernommen, der in Kommunikation mit Claudius Winterhalter das Klangbild kreierte und harmonisierte.

So wurde in Bamlach zunächst das im Prospektgehäuse stehende Hauptwerk konzipiert. Es enthält alle für ein feines und anmutiges Barockplenum nötigen Elemente: ein kompletter Prinzipalchor, ein prinzipalischer, aus Quinte und Terz gebildeteter Sesquialter, um das Plenum voller und farbiger zu machen. Kraftvoller Glanzpunkt für das festliche Spiel ist eine mischfähige Trompete 8‘. Dazu mit Flöte und Gemshorn zwei typische Farben aus der süddeutschen Barockorgel. Sie leiten ins 19. Jahrhundert und damit in das Schwellwerk der Bamlacher Orgel über. Es steht hinter dem Hauptwerk und ist mit einer großflächigen Jalousienwand dynamisch sehr effektvoll regelbar. Sein klangliches Zentrum sind Gamba und Fugara, beides stark zeichnende, obertonreiche Register. Sie unterstützen das „kleine“ Plenum dieses Werks mit den separaten, hoch liegenden Quinten und der Terz. Andererseits krönen sie die typisch romantischen Klangfarben wie Doppelgedeckt, Schwebung und Traversflöte, letztere mit charakteristischer Querflöten-Ansprache. Gleichsam ein Joker ist die Schalmey-Oboe, die sowohl solistisch als auch im Ensemble bald der barocken, bald der romantischen Klangwelt beigemischt werden kann. In jedem Manual lässt sich ein sogenanntes Cornett zusammenstellen, ein aus mehreren Registern gebildetes Solo: Während es im Hauptwerk recht streng ausfällt, folgt die Version im Schwellwerk eher den weichen, fülligen Vorbildern Frankreichs.

Das zum Durchgangsraum hin hinter der Orgel asymmetrisch aufgestellte Pedal enthält lediglich die drei für Bassfunktionen wichtigsten Register: Subbass, Oktavbass und Fagott. Zusätzlich werden drei Register aus dem Hauptwerk entnommen, die eher solistische Funktion haben und das Pedalwerk aufhellen: Gemshorn, Oktave und Trompete. Eine Unteroktavkoppel vom Schwellwerk ins Hauptwerk und eine Oberoktavkoppel vom Schwellwerk ins Pedal ermöglichen weitere Klangkombinationen. Erstere Koppel sorgt für Gravität, letztere erlaubt Pedalsoli in nicht disponierten höheren Lagen.

Mit gerade einmal 23 Registern hat die neue Bamlacher Orgel zwei deutliche klangliche Kerne in der Barockzeit und in der Romantik. Ähnlich wie bei gut disponierten süddeutschen Orgeln verbinden sich diese Ebenen auf geniale Weise zu einer überaus reichen Farbenpalette, die stilistisch weit über das 18. und 19. Jahrhundert dieser Orgellandschaft hinausreicht.

Die Tonsteuerung der gesamten Orgel erfolgt auf rein mechanischem Weg und benutzt dabei die bewährte Technik der sogenannten Schleiflade, wie sie schon zu Silbermanns Zeiten angewandt wurde. Die Register hingegen werden elektrisch betätigt. Obwohl aktuell ein gewisser Trend zu elektrischen Registersteuerungen zu erkennen ist, handelt es sich dabei nicht um einen Paradigmenwechsel der beteiligten Orgelbau-Werkstätten. Nach wie vor besitzt die rein mechanische Orgel den Ritterschlag des historischen Originals mit nahezu unbegrenzter Funktionsdauer. Die Elektrik erlaubt jedoch in diesem Bereich den Einsatz elektronischer Komponenten mit einer Vielzahl von Registrier- und Speicherhilfen. Auf die Realisierung einer zusätzlichen mechanischen Registersteuerung (Doppelregistrierung) wurde hier aus guten Gründen verzichtet. Die Windversorgung der Orgel folgt der Idee einer sogenannten „freien Windanlage“, bei der Schwimmerbälge nach klassischem Prinzip dem Pfeifenton einen vital sprechenden Wind liefern. In stabiler Qualität und stets ausreichender Menge.

Selbst wenn das Äußere der neuen Orgel im ersten Moment recht unspektakulär erscheint, so ist es gerade dieser Effekt, der die Prospekt- und Gehäusegestaltung zu etwas Besonderem macht. Das Raumangebot auf der Empore bot durch den überhöhten Mittelbereich zusätzliche „Luft“ nach oben, um eine optisch ungünstige, in die Breite gedrückte Gehäuseform zu verhindern. Exakt unter diesen Bereich konnte die Orgel platziert werden, in perfekter Proportion, ohne konstruktive Einschränkungen und in voller 8‘ Länge für den Prospekt.

Das Prospektgehäuse zeigt ein dreiteiliges Bild aus zwei (gespiegelten) L-Formen und einem zentralen U-Element. Die beiden L-Segmente beinhalten die großen Pfeifen des Principal 8‘ in C-Cs-Formation, die Mitte ist rein optisch angelegt. Diese reduzierte, als klassische Moderne einzuordnende Grundform wird durch drei weitere Zutaten wirkungsvoll ergänzt: Gerundete „Übereckführungen“ des Orgelgesichts, teilvergoldete Glaselemente über den Prospektpfeifen und LED-Lichtquellen zur Differenzierung und gleichzeitiger Vereinheitlichung der Gesamterscheinung.
Obwohl das gesamte Gehäuse aus Eichenholz besteht, wurde von Anfang an eine farbliche Fassung favorisiert (Die Wahl des Eichenholzes hat hier in erster Linie technische und klangliche Gründe). Eine Aufgabe, die der bekannte Künstler Frieder Haser in überzeugender Weise lösen konnte. Auf einem fast weißen Untergrund hat er in einem „Nass in Nass“ Verfahren die Oberfläche des Prospekthäuses mit eingeritzten Wellenlinien überzogen. Gezeichnete Synonyme für den fließenden Orgelton, sich überlagernde Schwingungen, bewegte Horizonte in Ton und Bild. Diese Ritzungen hellen dezent und lebendig die schiefergrau-zimtbraune Grundfarbe auf. Diese als „Siam“ bezeichnete Farbe gilt einer exotischen Katzenrasse, die für ihr besonders elegantes und geschmeidiges Erscheinungsbild bekannt ist …

Wer als Organist auf echte Spielqualität achtet und sich nicht zuerst als orgelspielender Dirigent versteht, schätzt direkte Trakturen mit kurzen Wegen und angenehmer Haptik. Ohne Zweifel zeugt die animierende Präzision der neuen Bamlacher Orgel vom Kennen und Können der beiden Erbauerwerkstätten.

Die angebaute Spielanlage glänzt durch ein komplexes Exterieur. Tiefschwarzer Klavierlack umrahmt die Manualklaviaturen und das geschweift darüberliegende Registerbord mit hinterleuchteten, weißen Wipptasten. Einmal mehr wird demonstriert, dass hervorragende Ergonomie, zeitloses Design und hochwertige Materialien sich bestens ergänzen können. Diese einladende “console de jeux” wirkt wie ein dunkles Futteral das einen kostbaren Inhalt birgt, den es beim Spiel zu enthüllen gilt.


Markus Zimmermann